Liebe Thinkfans,
Zu meiner eigenen Verwunderung zieht es mich schon so bald nach der letzten Thinkletter wieder an den Schreibtisch nicht nur in der Hoffnung und getragen von dem Wunsch, dass es Euch gelungen sein möge, das Neue Jahr sowie Neue Jahrzehnt froh und zuversichtlich zu beginnen, sondern auch um meinen kürzlich zum Ausdruck gebrachten Wünschen für dieses Neue Jahr den Farbtupfer einer kleinen, wenn auch vielleicht überraschenden Ergänzung hinzufügen.
Schon seit Tagen geht mir, ohne dass es mir gelungen wäre, den Grund hierfür auszumachen, das Bild der die Moldau überspannenden Karlsbrücke durch den Kopf. Nicht, dass ich mich Betrachtungen dieser Brücke, eines Meisterwerks, die den Namen von Karl IV, des Kaisers und Königs von Böhmens trägt, und die von dem berühmten Baumeister Peter Parler verwirklicht wurde, in einem Bildband oder in einerm Dokumentarfilm hingegeben hätte. Nicht anders tauchte das Bild der Karlsbrücke auf, wie so manches Mal Bilder am Himmel der inneren Wahrnehmung auf eine rätselhafte Art und Weise erscheinen – ähnlich den leuchtenden Sternschnuppen in warmen Sommernächten.
Ich war schon im Begriff, davon auszugehen, dass sich das Bild der Karlsbrücke wieder so geheimnisvoll zurückziehen würde wie es unerwartet aufgetaucht war, als sich heute, dem ersten Tag dieses Jahres, ja Jahrzehnts, die Aufmerksamkeit des Bewusstseins einer der besonderen Merkmale dieser Brücke zuwandte, nämlich den auf ihr stehenden Heiligenfiguren, die mit ihren Gesten, Blicken und ihrer jeweiligen Geschichte den Gang jedes Menschen, der diese den Strom überspannende Brücke von einem Ufer zu dem anderen überquert, begleiten – und somit einem solchen Gang eine Symbolkraft verleihen, die über die reine Bewältigung einer geografischen Distanz hinauswächst, als wäre es nicht nur ein Gang von einem Ort zu einem anderen, sondern auch ein Gang von einer Zeit in eine andere, während der unter der Brücke dahinziehende Fluss nicht nur das ihm anvertraute Wasser, sondern auch unwiderbringlich die Zeit mit sich in eine ferne Zukunft zieht.
Als wäre auf einmal das Schwungrad der Gedanken in Bewegung gekommen – und ich spürte förmlich, dass hier die Neuronen ihre Hand im Spiel hatten – schien es mir – und dies war ein völlig neuer Gedanke – als verwandele sich die Karlsbrücke, diese architektonische Meisterleistung des Mittelalters, in ein Symbol für das, was sich in jedem Moment in völliger Abgeschiedenheit, ohne Bausteine und ohne das Rauschen eines Flusses im Dunkel der Schädelkalotte abspielt, nämlich, dass hier durch das wundersame Wirken der Neurone all das, was in uns an Gefühlen und Gedanken entsteht und heranwächst, gewissermaßen von dem unbewussten Ufer über die große, geheimnisvolle Brücke der Verwandlung an das Ufer des bewussten Ausdrucks, der Gedanken, der Worte und der Schriftsprache gelangen kann – einer magischen Brücke von unvergleichlicher Kunstfertigkeit, ohne die wir hilflos und kommunikationslos im unendlichen Meer des Schweigens dahintreiben würden.
So erfüllt mich dieser Gedanke über die großartigen Leistungen der Neuronen, der mir durchaus bewusst ist, der aber durch das Bild der Karlsbrücke mit ihren Heiligenfiguren durch eine neue, lebhafte Wahrnehmung des lebenslangen, inneren und von den Neuronen begleiteten Brückenwandelns zwischen den Ufern des Unbewussten und des Bewusstens angereichert ist, mit einer noch größeren Bewunderung und Dankbarkeit, was ich gewissermaßen als Ergänzung zu meiner letzten Thinkletter No 51 an alle Thinkfans weitergeben möchte – verbunden auch mit meinem Dank für die vielen schönen Rückmeldungen zu der letzten Thinkletter.
Ich verbleibe nochmals mit meinen vielen guten Wünschen für das Neue Jahr 2020 und Jahrzehnt und mit
herzlichen Grüßen
Peter (Heinl)