Liebe Thinkfans,
Ihr/Sie alle, einschließlich der wiederum Neuhinzugekommenen, die ich herzlich begrüße, wünsche ich einen schönen, in mildes Herbstlicht getunkten Wochenbeginn und ein nur geringes Maß an Verwunderung darüber, dass nach schon nur wenigen Tagen eine neue Thinkletter in die Mailbox einschwebt.
Ich darf berichten, dass die Neuronen über die lebhaften Rückmeldungen zur Thinkletter Nr 21 so gerührt waren, dass sie sich bereit erklärten, ihrer Rührung durch neuen Tatendrang Ausdruck zu verleihen; was ich erfreut zur Kenntnis nahm.
Aber, da die Dinge oftmals tieferschichtig sind, als sie sich auf den ersten Blick darstellen, glaube ich, dass auch ein anderer Grund mitgespielt haben mag, der erklärt, warum sich die Neuronen zu einer solchen Arbeitswilligkeit bereit erklärt haben. Per Zufall stieß ich auf die Mitteilung über eine Arbeitsgruppe der Tübinger Universität, der es gelang, mithilfe offensichtlich sehr feinsinnig durchkonstruierter künstlicher neuronaler Netzwerke verblüffend hochqualifizierte Fälschungen von Malkunstwerken, wie beispielsweise solchen von van Gogh, herzustellen.
Hier ist der Link:
Es bedurfte meinerseits keiner großen Überzeugungsarbeit, um meinen Neuronen vor Augen zu führen, dass es nicht auszuschließen ist, dass ich in allzuferner Zukunft nicht mehr auf ihre Arbeitswilligkeit angewiesen sein würde, sobald es gelingt, künstliche neuronale Netzwerke zu konstruieren, die in der Lage sein werden, ohne allzu große Anstrengung, und ohne die eigenen Neuronen anflehen zu müssen, Thinkletters zu fabrizieren.
Ein Toaster-ähnliches künstliches neuronales Netzwerk würde genügen, um diverse Artikel hineinzuschieben; nach kurzer Zeit, und zwar spätestens dann, wenn – ähnlich wie ein menschliches Gehirn beim hitzigen Nachdenken zu rauchen beginnt – aus dem Toaster silber-schimmernder Rauch aufsteigt, liegt die fertige Thinkletter vor.
Aber dies ist im Augenblick noch Zukunftsmusik.
So werde ich noch ein Weilchen die zarten eigenen Neuronen mit Umsicht und rücksichtsvoll behandeln, damit sie mir zu Diensten stehen.
Ich hatte in der letzten Thinkletter auf das Magazin RehaTreff hingewiesen und ich danke vielmals Frau Dr. E. Jimenez für den wertvollen Hinweis auf das lesenswerte Magazin ‘Handicap’.
Eindrucksvoll finde ich auch die Arbeit von Professor Hugh Herr vom MIT auf dem Gebiet der Bionics, die eine segensreiche Anwendung moderner Technologie zum Ziel der immensen Anhebung der Lebensqualität vor Augen führt – wenn ich dies mit den Bildern Kriegsversehrter vergleiche, die mir aus der Nachkriegszeit in Erinnerung geblieben sind:
https://www.ted.com/talks/hugh_herr_the_new_bionics_that_let_us_run_climb_and_dance?language=en
Danken möchte ich auch Frau Dr. Helga Lees für den Hinweis auf ihre umfangreiche wissenschaftliche, mit einer Auszeichnung versehene Arbeit zum Schicksal von Kindern aus dem ehemaligen Sudetenland, mit dem Titel: ‘The fractured lives of German Bohemian children, born 1933 – 40 in the area known as Sudetenland: A Memory Study, Gablonz – Neugablonz’. Ich kann mir vorstellen, dass diese Arbeit für die/den eine/n oder andere/n aus dem Kreis der Thinkfans von Interesse sein könnte. Frau Dr Lees hat mir erlaubt, ihre Mailadresse anzugeben, so dass sich Interessent/innen mit ihr in Verbindung setzen können:
Wer zudem Interesse hat, sich mit dieser Region, und wie sie sich im Leben von Franz Kafka widerspiegelt, zu beschäftigen, mag einen Blick auf das Meisterwerk ‘Kafka: Die frühen Jahre’ von Rainer Stach werfen:
Frau Gonda Scheffel-Baars danke ich, dass ich auf das von ihr herausgegebene sehr interessante International Bulletin hinweisen darf, das sich auf der Website:
findet. Bitte in die deutsche Sektion einclicken und dann findet sich unten das Bulletin.
Zudem danke ich Herrn Dr. Smolenski für den Hinweis auf die junge finnisch-estnische Schriftstellerin Sofi Oksanen, deren vielfach preisgekröntes Werk mir bislang unbekannt gewesen ist:
Das herausragende Ereignis dieser Zeit ist der nicht abreißende Strom an Flüchtlingen, – an Männern, Frauen, Kinder, Kleinstkindern, die meist erbärmlichen Bedingungen ausgesetzt und oft genug ihr Leben aufs Spiel setzend – sich durch den europäischen Kontinent ergießt; auf der Suche nach humaneren, geschützteren, sichereren Bedingungen und einer Lebensperspektive.
Der nachfolgende Link vermittelt eine Vorstellung der immensen Dimension dieser Thematik, wobei die riesigen Zahlen, die sich in diesen erschütternden Statistiken des letzten Jahrhunderts und dieses noch jungen Jahrtausends auftürmen, nicht darüber hinwegtäuschen können, dass hinter jeder einzelnen Zahl ein von diesem Flüchtlingsleid gezeichneter Mensch steht:
www.encyclopedia.com/topic/refugee.aspx
Schon im letzten Jahr war die Zahl der weltweit Flüchtigen mit 60 Millionen die höchste seit dem Zweiten Weltkrieg, der allein in Deutschland nahezu 10 Millionen Flüchtlinge zur Folge hatte, die nur mit dem geringsten an Hab und Gut ausgestattet im Westen ankamen – menschliche Schicksale, wie ich sie im “Maikäfer flieg, …” beschrieben habe, – Schicksale, die oftmals nicht nur die unmittelbar Betroffenen für ein ganzes Leben prägten, sondern auch die Generation/en danach; und so wird es wohl auch wieder der Fall sein, was heutige Flüchtlinge betrifft, auch wenn derzeit ungleich effizientere Hilfs- und Betreuungsmöglichkeiten und – maßnahmen zur Verfügung stehen als damals.
Aber erschreckenderweise sind es wieder die Kinder, die von dem, was sie an Krieg und Flucht erlebt haben, in besonderem Maß an Seele und Körper betroffen und erschüttert sind:
Unter dem Titel “Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern” lädt die Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik am 01. Oktober zu einem Workshop ein.
Was es bedeutet, diese Schicksale aus allernächster Nähe an sich vorüberziehen zu sehen, teilte mir meine Kollegin, Frau Silvia Moser aus Südtirol, in einem bewegenden Mail mit, für das ich ihr vielmals danke sowie die Erlaubnis, aus ihrem Bericht zitieren zu dürfen:
“Die Flüchtlingsströme, die derzeit aus dem Süden und Osten zu uns nach Europa drängen… oder wohl besser, die vielen, vielen Menschen – Babies, Kinder, Frauen, Männer… -, die aus schrecklichen Verhältnissen in ihren Ländern kommend, keine Mühe und keine Gefahr scheuen, um in Europa einen sicheren Ort und Schutz hier bei uns zu finden. Es ist einfach herzzerreißend, diese Menschen zu sehen und hinter jedem einzelnen ein Schicksal zu ahnen, das wir uns nicht mal annähernd ausdenken können …
“Wobei Südtirol bis jetzt erst 400 Menschen auf längere Zeit und ca. 100 als Entlastung für Bayern (die mit den verfügbaren Kapazitäten nicht mehr nachkommen) aufgenommen hat… Aber tagtäglich fahren Hunderte durch unser Land durch, werden oft in Bozen oder am Brenner (Grenze zu Österreich) aus dem Zug geholt und müssen auf die Weiterreise warten. Es erinnert so fürchterlich-schrecklich an die Zeiten im/nach dem Zweiten Weltkrieg oder an unsere Optionszeit…
” … ich überlege mir jetzt, ob ich nicht Spielsachen organisieren und zumindest mit den Flüchtlingskindern spielen könnte. Viele von ihnen sind ja schwer traumatisiert, und alle haben Schlimmes hinter sich. Da wäre vielleicht das Spiel (und das ist ja auch ohne Sprachkenntnisse möglich) etwas Hilfreiches und vielleicht ansatzweise Heilendes… Denn die Kinder – ja, vor allem sie! – tun mir so immens leid – und jetzt, seit dem toten Aylan – geht mir ihr Schicksal noch einmal mehr zu Herzen.
” … ich glaube, wir müssen darüber reden, müssen gemeinsam nachdenken und uns auch auf diese Weise mit dem Schicksal dieser Menschen verbinden. Und aus Gesprächen und Gedanken kann dann vielleicht mehr Bewusstheit und können hoffentlich mehr Menschlichkeit und neue Wege der Solidarität entstehen.”
Im letzten Jahr war zu lesen, dass die spanische Regierung ein Gesetz verabschiedete, durch welches sie den Nachfahrungen der vor 500 Jahren unrechtmäßig aus Spanien vertriebenen spanischen Juden die spanische Staatsbürgerschaft antrug. So war es ein Ziel dieses Gesetztes, ein vor einem halben Jahrtausend begangenes Unrecht, wieder gut zu machen – so weit dies eben möglich ist.
Was werden die Menschen denken, wenn sie in 500 Jahren auf das zurückblicken, was heute geschieht?
Vor circa 200 Jahren schrieb Johann Wolfgang von Goethe, der in seinem Gedicht vom Zauberlehrling wohl auch eine Vorahnung dessen, was an katastrophaler Zerstörung möglich ist, zum Ausdruck brachte, das folgende Gedicht:
Wer sich selbst und andere kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.
Und mag die ganze Welt versinken,
Hafis, mit dir, mit dir allein
Will ich wetteifern! Lust und Pein
Sei uns, den Zwillingen, gemein!
Wie du zu lieben und zu trinken,
Das soll mein Stolz, mein Leben sein.
Hoffen wir, dass das, was jetzt geschieht, zu einem neuen, wie Wolken über nationale Grenzen hinwegschwebenden Gefühl und Bewusstsein von tiefer menschlicher Gemeinsamkeit führt.
So freue ich mich, die Neuronen eingeschlossen, auf Eure/Ihre Rückmeldungen.
Herzliche Grüße
Peter (Heinl)